Anlässlich des Gedenktages für die Opfer des Nationalsozialismus fand am 27. Januar 2022 eine bewegende und würdevolle Gedenkveranstaltung an der Gedenkstätte Zwangslager Marzahn statt. In den Jahren 1936 – 1943 wurden im Zwangslager Berlin-Marzahn Sinti und Roma, alt und jung vor der Deportation in die deutschen Vernichtungslager interniert. Mit den zuvor verabschiedeten Nürnberger Gesetzten wurde der Rassenwahn zum Verwaltungshandeln und zielgerichteter staatlicher Politik. Mit den Durchführungsverordnungen zu den Nürnberger Gesetzen von 1935 wurden auch Maßnahmen gegen Sinti und Roma verhängt, die ähnlich wie die verfolgten Juden ebenfalls ihre politischen Rechte. Die Rassengesetzgebung der Nationalsozialisten war eine Vorstufe zur Vorbereitung der Shoah und des Holocaust an den Sinti und Roma.
In eisiger Kälte und Regen versammelten sich ca. sechzig Personen, um anlässlich des Internationalen Gedenktages für die Opfer des Holocaust (International Holocaust Remembrence Day) auch der Schicksale der von Berlin nach Auschwitz-Birkenau in den Tod verschleppten Sinti und Roma zu gedenken. Petra Rosenberg, die Vorsitzende des Landesverbandes der Deutschen Sinti und Roma e.V. und Vorsitzende der Gedenkstätte Zwangslager Berlin-Marzahn erinnerte an die tragischen Nachwirkungen der NS-Verfolgung in den Familien der Überlebendenden und der Nachkommen und die Bemühungen um Anerkennung der Bürgerrechtsbewegung der Sinti und Roma nach der Befreiung.
Prof. Dr. Micha Brumlik unterstrich in seiner Gedenkrede, dass „es heute und in Zukunft darum gehen [muss], Antisemitismus und Antitziganismus in ihrer wechselhaftigen Verflochtenheit gleichermaßen in der deutschen Erinnerungskultur zu verankern.“ Dabei sollen auch die Kolonialverbrechen nicht vernachlässigt werden. Brumlik unterstützt die Forderung des Landesverbandes der Deutschen Sinti und Roma, die Landeverfassungen des Land Berlin und des Land Brandenburg gleichermaßen um ein Staatsziel zur Bekämpfung des Antisemitismus und Antiziganismus zu ergänzen.
Die Unabhängige Kommission Antiziganismus stellte in ihrem umfassenden Bericht jüngst fest, dass aufgrund der historischen und empirischen Befunde Antiziganimus als ein eigenständiges Macht- und Gewaltverhältnis zu qualifizieren ist. Der Erfolg einer wirksamen, gezielten Bekämpfung und Überwindung von Antiziganismus hängt unmittelbar von der Anerkennung dieser Besonderheit ab. Antiziganismus hat sich in einer jahrhundertelangen Geschichte herausgebildet und zu Ausprägungen geführt, die sich von anderen Formen rassischer Diskriminierung deutlich unterschieden.
Die Bewahrung der Erinnerung und des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus ist nur möglich durch aktive Teilhabe der Zivilgesellschaft und Anteilnahme und Unterstützung der Politik. Wir danken Prof. Dr. Micha Brumlik für seine mahnende Gedenkrede und die nachdenklichen Worte des Bürgermeisters von Berlin Marzahn Herrn Gordon Lemm (SPD) sowie Saraya Gomis, Staatssekretärin für Vielfalt und Antidiskriminierung der Berliner Senatsverwaltung für Justiz für Ihre Offenheit, den Herausforderungen vor denen die deutsche Minderheit der Sinti und Roma steht zu begegnen und die ebenfalls an diesem Tag an der Gedenkveranstaltung teilnahm.
Die Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey, der Präsident des Berliner Abgeordnetenhauses, Dennis Buchner und die Präsidentin des Brandenburger Landtages Prof. Dr. Ulrike Liedtke haben Kränze an der Gedenkstätte niederlegen lassen. An der Gedenkzeremonie nahmen u.a. der Vorsteher der Bezirksverordnetenversammlung Marzahn-Hellersdorf Herr Steffen Ostehr; die Landevorsitzenden der Parteien im Abgeordnetenhaus Philmon Ghirmai (Bündnis 90/Die Grünen) sowie Katina Schubert (Die Linke), Mitglieder des Berliner Abgeordnetenhauses und Deutschen Bundestages, Bezirksstadträte sowie ein Repräsentant des Kommando Heer der Deutschen Bundeswehr.
Zahlreiche VertreterInnen der Zivilgesellschaft folgten der Einladung zum Gedenken, darunter Lukas Welz, Vorsitzender der Hilfsorganisation AMCHA Deutschland, Vertreter des Bundesvorstandes des Lesben und Schwulenverband Deutschlands (LSVD) sowie Vertreter der Kirchen, darunter Weihbischof von Berlin Dr. Matthias Heinrich.
Wir danken sehr herzlich Oana Cătălina Chiţu (Gesang) und Dejan Jovanović (Akkordeon) für ihre ergreifende musikalische Begleitung der Gedenkzeremonie und dem Don-Bosco-Zentrum in Berlin-Marzahn.
Nach der Gedenkveranstaltung legte Petra Rosenberg mit einer Delegation einen Kranz am Denkmal für die Ermordeten Sinti und Roma Europas in Berlin-Tiergarten nieder.
Holocaust-Gedenken der Sinti und Roma: „Erinnerung ist kein Nullsummenspiel“
Tagesspiegel vom 28.01.2022 (Andrea Dernbach)
Mehr als ein Gedenken an die ermordeten Sinti und Roma
WDR5 Scala vom 28.01.2022 (Kommentar von Martin Sander)
„Hanau war der Anlass“
tageszeitung vom 9.01.2022 (Interview mit Micha Brumlik)
Bekämpfung des Antiziganismus – Neue Initiative stellt sich vor
Deutschlandfunk | Kultur heute | vom 30.01.2022 (Martin Sander)
© Fotos: Kamil Majchrzak
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