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Termine & Veranstaltungen

Einweihung des Otto-Rosenberg-Hauses

Besondere Erinnerung: Im Otto-Rosenberg-Haus wird Menschen in Not geholfen

© Foto: Karin Dalhus

Veröffentlicht am 25.08.2020 von Caspar Schwietering

Als der letzte Ehrengast schließlich seinem Auto entstieg, war bei der wartenden Festgemeinde doch eine gewisse Erleichterung zu spüren. „Da ist der Staatssekretär“, sagte Sozialstadträtin Juliane Witt (Linke), „dann kann es jetzt ja losgehen.“

Wer keine Rede halten musste, floh daraufhin schnell in den Schatten. Es war einfach viel zu heiß am vergangenen Donnerstagnachmittag, als in Marzahn das Otto-Rosenberg-Haus eingeweiht wurde. Doch die Freude bei allen Beteiligten konnte weder die kleine Verzögerung noch die Hitze trüben.

In dem Haus am Otto-Rosenberg-Platz sollen zukünftig Menschen in Not ermutigt werden, sich selbst zu helfen. Das schlichte weiße Haus mit einigen roten Zierstreifen ist an der Stelle einer ehemaligen Kantine der Reichsbahn entstanden, von der zuletzt aber bloß eine Ruine übrig war.

Das Don-Bosco-Zentrum, das bereits seit Längerem am Otto-Rosenberg-Platz sitzt und dort Jugendlichen eine zweite Chance gibt, richtet in dem Gebäude Werkstätten ein. Ohne großen Druck können die Jugendlichen sich hier auf eine Ausbildung und ein selbständiges Leben vorbereiten.

Daneben ist im Otto-Rosenberg-Haus die Beratungsstelle „Respekt und Halt“ eingezogen. Hier will die Wuhletal gGmbh Menschen in schwierigen Lebenssituationen beraten. Das Angebot richtet sich insbesondere an Personen, die von Obdachlosigkeit betroffen sind. Und auch ein Künstler hat in dem Haus ein Atelier gefunden. In dem ehemaligen Pförtnerhäuschen vor dem Gebäude ist zudem ein kleines Bistro entstanden. „Soziale Arbeit findet hier an einem Ort mit dunkler Vergangenheit eine sehr wichtige, helle Perspektive“, sagte der Berliner Staatssekretär für Integration, Daniel Tietze (Linke), in seiner Eröffnungsrede.

© Foto: Karin Dalhus

Denn genau hier befand sich einst das Zwangslager Marzahn, in dem die Nationalsozialisten zwischen 1936 und 1943 Berlins Sinti und Roma internierten. Das Lager, das die Nationalsozialisten euphemistisch als „Zigeunerrastplatz Marzahn“ bezeichneten, wurde im Vorfeld der Olympischen Sommerspiele 1936 geschaffen, als Berlins Sinti und Roma aus ihren angestammten Quartieren vertrieben wurden. Sie mussten fortan bewacht unter katastrophalen hygienischen Bedingungen auf einem ehemaligen Rieselfeld leben und Zwangsarbeit leisten. 1943 wurden dann viele Bewohner*innen des Lagers in Konzentrationslager und in das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau deportiert.

Auch Otto Rosenberg, nach dem auf dem Gelände ein Platz eine Straße und nun auch das Otto-Rosenberg-Haus benannt sind, gehörte zu den Insassen des Zwangslagers. Daran erinnerte bei der Eröffnungsfeier seine Tochter Petra Rosenberg. „Im Alter von neun Jahren wurde mein Vater mit seiner Familie hierher getrieben. Von hier wurde er nach Auschwitz deportiert; er überlebte als einziges von elf Geschwistern“, sagte die Vorsitzende des Landesverbandes Deutscher Sinti und Roma Berlin-Brandenburg in ihrer Rede. „Dieser Ort ist ein Ort mit einer dunklen Vergangenheit. Es war ein Ort der Trauer und des Grauens.“

Nachdem Rosenberg fast als einziger in seiner Familie den Völkermord der Nationalsozialisten an den Sinti und Roma überlebt hatte, kehrte er nach Berlin zurück, weil er sich als Sinto-Deutscher fühlte und engagierte sich fortan unter anderem politisch. Er war Vorstandsmitglied im Zentralrat Deutscher Sinti und Roma und erster Vorsitzender des Landesverbandes Berlin-Brandenburg der Deutschen Sinti und Roma. Die Namensgebung sei deshalb ein Zeugnis der Anerkennung und Würdigung der sozialen und politischen Arbeit ihres Vaters, sagte Petra Rosenberg in ihrer Rede.

Ihr eigenes Verhältnis zu diesem Ort bleibt jedoch ambivalent. „Immer wenn ich hier um die Ecke biege und den Namen meines Vaters lese, spüre ich einen Stich in meinen Herzen.“ Doch das Gelände des ehemaligen Zwangslagers sei der authentische Ort, um ihres Vaters zu gedenken. „Denn hier musste er einen Großteil seiner Kindheit verbringen.“ Privat habe er über seine Erfahrungen im Zwangslager Marzahn sowie in Auschwitz, Buchenwald, Dora und Bergen-Belsen nie gesprochen. „Als Kinder verstanden wir nicht, warum er in der Nacht aufwachte und nach seinen Geschwistern rief.“

Auch öffentlich wurde des Völkermords an den Sinti und Roma zunächst kaum gedacht. Das Zwangslager Marzahn geriet zeitweise fast in Vergessenheit. Erst 1986 wurde auf dem nahegelegenen Parkfriedhof Marzahn ein Gedenkstein eingeweiht. Inzwischen gibt es auf dem Gelände des ehemaligen Zwangslagers Marzahn auch eine Gedenkstätte. Unweit des S-Bahnhofs Raoul-Wallenberg-Straße erinnern zehn Gedenktafeln an die Geschichte dieses Ortes. Petra Rosenberg hat diesen Gedenkort 2011 eröffnet. Sie ist inzwischen auch Vorsitzende dieser Gedenkstätte. Ihr Engagement führt sie dabei auf ihren Vater zurück. „Ich fühle mich seinem Erbe verpflichtet“, sagte sie.

Seit März hat die kleine Gedenkstätte auch eine Geschäftsstelle. Das Don-Bosco-Zentrum hat dafür die Räume zur Verfügung gestellt. Hier werden ein Büro und eine Bibliothek aufgebaut. Auch Ausstellungen, Vorträge und Seminare sollen zukünftig regelmäßig dort stattfinden. Führungen sollen zudem spontan möglich sein. Doch bisher verhindert noch die Corona-Pandemie den Ausbau der Gedenkarbeit.

Die Arbeit des Don-Bosco-Zentrums würdigte Petra Rosenberg in ihrer Eröffnungsrede. Mit dem Zentrum habe sich der Charakter des Ortes geändert, sagte sie. Seitdem gebe es hier Mitmenschlichkeit, „denn die Mitarbeiter dieser Einrichtung unter der Leitung von Pater Otto und Schwester Margareta haben es sich zur Aufgabe gemacht, jungen in Not geratenen Menschen Unterstützung und Zuwendung in allen Lebenslagen zu geben.“

Deshalb sagte die Familie von Otto Rosenberg, zu der auch die Sängerin Marianne Rosenberg gehört, nach anfänglichen Bedenken auch zu, als der Bezirk sie fragte, ob Otto Rosenberg als Namenspate für das Gebäude fungieren könnte. Als Anlaufstelle für Menschen in Not sei es ein Haus ganz im Sinne ihres Vaters, sagte Petra Rosenberg. „Nach den eigenen leidvollen Erfahrungen, die er als Kind und Jugendlicher erlebte, konnte er sich sehr gut in Menschen hinein versetzen, deren Lebensweg nicht gradlinig verlief, sondern wie früher auch sein eigener, von Angst, Elend, Hunger und Verlust geprägt war.“

Link zum Artikel im Tagesspiegel »

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